Dynamik der Liebe (2015) - kloster-hachborn.de

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Geist > Hochzeit


Traupredigt über 2. Timotheus 1, 7: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

2. Tim. 1,5. Ich erinnere mich an den aufrichtigen Glauben in dir, der zuvor schon gewohnt hat in deiner Großmutter und in deiner Mutter; ich bin aber gewiss auch in dir.
6.Ich rufe dir ins Gedächtnis: Erweck diese Gnade Gottes zum Leben, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände.
7. Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Liebe Hochzeitsgemeinde, liebes Brautpaar,

wie geht es euch jetzt gerade? Ein wenig aufgeregt? Etwas Furcht dabei? Oder gar Angst? Manche ansonsten starke Männer habe ich erlebt, die haben beim Heiraten Schweißausbrüche gekriegt, während Sie vergnügt daneben saß. Auch das Umgekehrte gab es: Dass Sie in Ängsten war wie bei der Abiturprüfung im schwächsten Fach, und Er strahlte wie ein Sieger: Jetzt endlich hab ich dich!
Wie geht es ihnen, liebe Eltern und Großeltern der beiden? Sind sie jetzt ganz ruhig und gelassen, oder mischen sich da auch Sorgen und Ängste in die Gefühlswelt? Die meisten von Ihnen, liebe Hochzeitsgäste in den hinteren Reihen, können dieses Fest heute ja einfach nur genießen. Sie haben jetzt auf jeden Fall einen schönen Tag, wie auch immer die Sache mit den beiden ausgeht.
Aber je dichter sie hier zum Altar sitzen, umso intensiver sind die Gefühle. Dass da auch Angst und Furcht darunter sind ist dabei völlig in Ordnung. Denn wer sich gar nicht fürchtet und Angst nicht kennt, lebt meist auch nicht sehr lange. Angst ist eine Schutzfunktion des Lebens, und Furcht erinnern daran, dass wir gefährdet sind. Furcht gehört deshalb auch zur Ehe dazu.
In dem schönen Märchen „von Einem, der auszog das Fürchten zu lernen“ helfen dem Held weder Gruselgeschichten noch ganz realer Horror. Der hat einfach keine Angst. Er weiß, dass ihm damit ein lebenswichtiges Gefühl fehlt. Er fürchtet sich vor nichts. Erst als er heiratet lernt er das Fürchten. 
(Hat dahinten in der Bank jetzt gerade jemand leise geflüstert: So ging‘s mir auch?) 
Das ist wohl auch gut so. Denn auch unser Zusammenleben ist gefährdet. In der Furcht äußert sich  Respekt vor dem Partner. So sagt ein erfahrener Ehemann: Am Anfang war bei uns die Liebe, dann habe ich meine Frau geheiratet. Jetzt fürchte ich sie auch. Und sie sagt. Anfangs fand ich ihn ja nur furchtbar, aber dann habe ich ihn näher kennengelernt. Jetzt kann ich ihn auch lieben, obwohl er manchmal immer noch furchtbar ist.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Frucht - das heißt nicht, dass alle Angst und Furcht einfach weg sind. Sie werden euch erhalten bleiben, und das ist gut so, denn sie erhalten die Lebendigkeit einer Beziehung. Sie erinnern daran, dass ihr sterblich seid, dass auch die Liebe sterben kann. Aber Angst und Furcht sollen nicht der bestimmende Geist sein, und sie sollen das auch nie werden. Angst im Leben ist um des Lebens willen wichtig, aber sie ist ein schlechter Ratgeber. Das gilt sowohl fürs Heiraten, wie fürs Nichtheiraten. Manche heiraten aus der Angst heraus, keinen anderen mehr zu kriegen und haben dann einen Torschlusspanikpartner, andere heiraten gar nicht, aus Angst lebenslang Verantwortung für jemand übernehmen zu müssen. Beides ist ungut. Es führt zu versäumtem Leben. 
Fehlt der Mut, die Angst auszuhalten so geht es aus wie einst bei dem Philosophen Sokrates. Der empfahl einem ängstlich nach der Ehe fragenden Jüngling: Heirate oder heirate nicht – du wirst es bereuen.
Sokrates nahm dann selbst Xanthippe zur Frau und empfahl die Ehe mit den Worten: Heirate auf jeden Fall. Denn heiratest du ein gutes Weib, so wirst du glücklich, heiratest du ein böses Weib, so wirst du Philosoph. Wir wissen nicht was Xanthippe dazu sagte, aber wir wissen, dass sie sich durchaus gegenüber solchen Macho-Sprüche Respekt zu verschaffen wusste. Indirekt bezeugt das dann auch Sokrates, wenn er meinte: Wer mit Xantippe fertig geworden ist, wird auch mit allen anderen Problemen der Welt fertig.
So verdanken wir dem Mut zur Angst nicht nur einen großen Philosophen, sondern auch manch andere gute, mit einer Prise Humor gelebte Ehe.

Euch wünsche ich dass in allem was zum Fürchten ist, immer noch der Geist Gottes da ist, stärker als alle Angst und Furcht.Der Geist der Kraft, der Mut, Angst und Furcht auszuhalten, nicht einfach wegzulaufen wenn es schwierig wird, sondern dann mit Besonnenheit und gelassener Philosophie Wege aus dem Schlamassel zu finden.

Dass ihr jedenfalls bisher der Furcht nicht ausgewichen seid, zeigt sich nicht nur in der Liebe zu Horrorfilmen, sondern auch in der Begegnung mit dem ganz realen Horror dieser Welt. Wer die Kollekte heute für den Verein „Pro Asyl“ spendet, und sich auch ehrenamtliche für Flüchtlinge engagiert, der erfährt in den Begegnungen manchmal Dingen, die wirklich der pure Horror sind, aber ihm wird auch die Kraft zugesagt, mit dem Geist der Liebe und der Besonnenheit, Menschen aus ihren Ängsten zur retten. So habt ihr das auch selbst erfahren in eurer gemeinsamen Geschichte. Ihr habt euch mit Liebe und der nötigen Besonnenheit, jeweils wechselseitig aus schwierigen Lebenssituationen heraus gerettet.

Der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit ist dabei nach dem Timotheusbrief auch ein gutes Familienerbstück. So schreibt er vor eurem Trauspruch: „Ich erinnere mich an den aufrichtigen Glauben in dir, der zuvor schon gewohnt hat in deiner Großmutter und in deiner Mutter; ich bin aber gewiss auch in dir.“ Es darf also heute auch mal gesagt werden, was für ein Segen die Oma war, wie wichtig die Eltern sind bei der Weitergabe dieses Geistes. An einem Tag wie heute ist auch die Zeit dafür noch einmal zu danken.

In der Tradition des Apostel Paulus schreibt der Timotheusbrief weiter: „Ich rufe dir ins Gedächtnis: Erweck diese Gnade Gottes zum Leben, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände.“ Durch die Auflegung meiner Hände empfangt ihr heute in der gleichen Tradition den Trausegen, das Symbol für die Kraft in der Ehe zusammenzuleben und eine Familie zu werden. Ihr seid nun nicht mehr bloß Teil eurer Herkunftsfamilien, ihr werdet jetzt selbst Familie. Durch euch sind eure Herkunftsfamilien miteinander verbunden und begegnen sich hier.

Der Blick auf konkret gelebte Familien zeigt dabei wie schwierig das Unternehmen Familie bisweilen ist, wie verschieden Familienformen sein können und wie gut es ist, Eltern und Großeltern und Geschwister an einem solchen Tag in all ihrer Verschiedenheit zusammen zu haben. 

Der Geist der Kraft: Im griechischen Urtext steht da für „Kraft“ das Wort "". Dynamik. Wenn ihr Gottes Geist in der Familie habt, dann habt ihr da Dynamik drin - manchmal auch Dynamit. Der Geist der Liebe, das ist höchste Lebendigkeit, lebendiger und größer als unsere kulturell bedingten Vorstellungen davon sind. Ehe und Familie sind etwas Dynamisches. Sie sind Veränderungen unterworfen. In der Ethik des Zusammenlebens heute ist das etwa die Entwicklung von den festen Rollenbildern der kleinbürgerlichen Familie hin zum Aushandlungskonsens. Da geht fast alles, wenn sich denn Zweie einig werden und es nicht auf Kosten eines Dritten geht. Mit einem Sprichwort gesagt: Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Doch während das eine die Hölle auf Erden ist, wo sich niemand eins wird und es immer auf Kosten Dritter geht, kann das andere der Himmel sein: Zwei die sich eins werden – von Gott so zusammengefügt. Das soll der Mensch nicht scheiden, auch wenn es für manchen ungewohnt aussieht.
Wir erleben heute einerseits ein ungebrochenes Ja zur Familie und andererseits eine große Dynamik in dem, wie Familie konkret gelebt wird. Veränderungen, Verwandlungen, Trennungen, Neuverheiratung - vieles ist immer wieder neu auszuhandeln. Das ist auch anstrengend und kräftezehrend. Damit diese Dynamik nicht zum Dynamit wird sondern etwas Lebensförderliches bleibt, gehört Besonnenheit dazu - Vernunft.
Eine grundlegende Besonnenheit bei allem, was ihr aushandelt ist der alte römische Grundsatz: "pacta servanda sunt", Verträge sind einzuhalten!
Der Vertragstext für eure Ehe wird euch nachher noch vorgelesen und jeder von euch beiden wird gefragt – in aller Freiheit und ohne Zwang. Das ist die Grundlage auf der alles Weitere geschieht. Da könnt ihr Ja zu sagen oder Nein.Gott hat euch sein Ja gegeben. Mit Handauflegung wird euch sein Segen zugesprochen, die Kraft in Glück und Unglück miteinander zu leben.
„Vertraut den neuen Wegen“, singen wir dazu. „Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige euch große Freude“, sagt der Weihnachtsengelm und die Bibel erzählt eine Geschichte in der Tod und Teufel und andere düstere Schicksalsmächte zwar auch vorkommen, aber doch besiegbar sind. Auch schlimmes Schicksal ist zu meistern mit der Dynamik Gottes. Nach allerlei Irrungen, Umwegen und Wirrungen begegnet man sich am Ende im Himmel. Wenn sich heute hier viele aus euren Familien wiederbegegnen dann ist vielleicht ein Stück davon schon da.
Keine Angst also vor dem was kommt. Selbst manche Trennung kann noch Zeichen der Dynamik Gottes sein.
Die Bibel erzählt die Geschichte vom Turmbau zu Babel: Da wollen Menschen zum Himmel hinauf. Sie wollen Sicherheit vor allen Wechselfällen, Furcht und Angst sollen abgeschafft werden, und sie merken nicht, wie sie sich dabei einmauern, in einen ewig gleichen Trott geraten. Da geht alles Lebendige verloren. Sie werden sprachlos, haben sich nichts mehr zu sagen. Dann ist es heilsam, wenn da der Geist der Kraft, die Dynamik Gottes dazwischen fährt und sie auseinandergehen müssen. Jeder muss erst mal seine eigene Sprache finden. Das ist auch mit Schmerz und Trauer verbunden. Aber es ist nicht das Ende der Geschichte. Da entsteht in der Tiefe des Lebens auch neues Vertrauen. Da bricht einer auf, aus alten Verhältnissen, vertraut den neuen Wegen.
Später ereignet sich Ostern: eine Liebe, gestorben, begraben und zur Hölle gefahren, auferweckt zu neuem Leben; Und zu Pfingsten kommt eine unglaubliche Dynamik dazu. Was beim Turmbau zu Babel auseinandergeging, fängt jetzt an miteinander zu babbeln wie ihnen die Zunge gewachsen ist, und – o Wunder – alle verstehen sich.
Manchmal habe ich von Hochzeiten den Eindruck, dass da babylonische Türme gebaut werden. Es soll alles perfekt sein: nicht nur das Brautkleid und der passende Anzug, auch Kirche und Musik wohlabgestimmt und das perfekte Hotel zum Feiern möglichst direkt daneben. Da wird an nichts gespart, damit dies ein unvergesslicher Tag wird, damit nicht nur das Brautpaar im siebtem Himmel schwebt, sondern auch gleich noch die ganze Hochzeitsgesellschaft dazu. Doch wo alles so perfekt schön sein soll sehe man zu, dass man nicht wie Schneewittchen im gläsernen Sarg endet – dem Ergebnis vergifteter Schönheit. Da ist es dann allemal heilsam, wenn der Geist der Liebe dazwischen kommt und den gläsernen Sarg in Bewegung bringt: Ein nicht ganz perfekter, laut polternd hinstürzender Träger führt zu vielen Glasscherben, doch dieser Polterabend ist ein Glücksfall. Mit dem zerbrechenden Glassarg kommt auch wieder Lebendigkeit in das erstarrte Leben.
Der Geist der Besonnenheit bewahre euch vor dem Übersteigerten. Er lasse euch gerade in der Tiefe des Lebens noch die Chance auf neue Lebendigkeit entdecken, und die Hoch-Zeit kann dann entsprechend gefeiert werden.

Doch euch muss man das gar nicht mehr sagen. Bei euch muss heute  nicht alles perfekt sein. Es ist nicht das Grandhotel, wo ihr feiert sondern nur die Hofreite bei den Eltern. Es braucht auch sonst nicht viel zum Heiraten, sondern nur das, was euch mit eurem Trauspruch zugesagt wird: Den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Ich wünsche euch, dass es euch damit richtig gut geht und der Hochzeitsgesellschaft dazu.

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