Geist > Abschied
Zum Abschied von unserer
Gemeindesekretärin Dorothea Neumann ( 2005)
(17. Juni 2005): Dies heute ist ein Tag versammelter
Zeit. Menschen und Gesichter aus über 20 Jahre sind hier versammelt.
Eingeladen zu diesem Gottesdienst ist die ganze Gemeinde.
Besonders eingeladen haben wir alle Kirchenvorsteher der letzten 20 Jahre und
alle hauptamtlichen Mitarbeiter aus dieser Zeit. Es ist schön, dass so viele
gekommen sind. Gelegenheiten zu Rückblicken und Erinnerungen wollen wir heute
geben, und allen danken, die mitgewirkt haben beim Bau von Kirchengemeinde und
Gemeindehaus hier vor Ort. Der erste Dank gilt dabei dem Himmel, dem
Geist Gottes, ohne den dies alles nicht möglich gewesen wäre.
Wochenspruch
Eph. 5, 8b – 9
Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter
Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Predigt
Schwerter zu Pflugscharen – mit besonderem Dank an unsere
Gemeindesekretärin Frau Dorothea Neumann
Jesaja 2, 1-5
Dies ist's, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über
Juda und Jerusalem:
Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest
stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden
werden herzulaufen,
und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, laßt uns auf
den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine
Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung
ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen
viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu
Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben,
und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns wandeln im Licht des
HERRN!
Liebe Schwestern und Brüder,
Was hält eigentlich eine Gemeinde zusammen, was hält die
Mitarbeiter zusammen. Nach klassischer Lehre ist es das Abendmahl. Als ich als
Pfarrer hierher kam, habe ich sehr schnell erfahren: Es sind Frau Neumanns
Frühstücke. Und weil man natürlich von keiner Kirchenvorsteherin erwarten kann,
dass sie regelmäßig die Mitarbeiter der Gemeinde zum Frühstück in ihrem
Wohnzimmer einlädt, deswegen haben wir vor 20 Jahren das Gemeindehaus gebaut
mit extra großer Küche. Das feiern wir heute.
Aber natürlich war die Gemeinde nicht nur Frühstück bei Frau
Neumann. In der Anfangszeit war das auch eine ziemliche Bastelarbeit. Was der
Bastelkreis so gestrickt und gehäkelt hatte wurde einmal im Jahr zwischen
Hühnern- und Hähnen im Bürgerhaus präsentiert. Auch da zeigte sich hoher Bedarf
nach Räumen für den kirchlichen Basar.
Die hatten wir dann ab 1985 mit unserem Gemeindehaus. Leider
jedoch brach die Nachfrage nach gehäkelten Topflappen bald so ein, dass diese
heute noch als unverkäufliche Exemplare irgendwo im Schrank liegen. Dafür
aber konnte mit viel geselligem Beisammensein als Werk mehrerer Jahre
eine Altardecke fertig gestellt werden. Diese haben wir heute noch einmal
aufgelegt, und die Namen jener Damen die da wirkliche Basisarbeit
geleistet haben sind darin verewigt.
Für mich als Pfarrer war das damals verbunden
mit der Entdeckung der Langsamkeit. Das Entscheidende ist nicht, dass das
Produkt schnell und effizient fertig gestellt wird. Das Entscheidente ist das,
was sich nebenher ereignet: Etwa dass Vertrauen wächst, dass sich Gemeinschaft
bildet, dass einer auf den anderen warten kann, dass man sich zwar fordert aber
nicht überfordert, dass einer des anderen Last trägt.
Das Altarwerk musste langsam wachsen, bei vielen Essen,
Gesprächen, manchem Glas Sekt und praktizierter Seelsorge in der Gruppe.
Auch mit dem Du, dem Wechsel von Frau Neumann zu Dorothea haben
wir uns damals Zeit gelassen. Eine gewisse Spannung war über die Jahre hin da -
und das war gut so.
Mit dieser Langsamkeit, die Distanzen nicht einfach überspringt
sondern sie aushält sind wir unterwegs zum Berg des Herrn.
So sieht das Jesaja:
„Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist fest
stehen.“ Wohlgemerkt, nicht morgen und nicht übermorgen, sondern zur letzten
Zeit. Wir haben es hier also mit der Zeitdimension Gottes zu tun: Einer
Ewigkeit. Die Vision des Jesaja ist etwas Großartiges. Wir können daraus Kraft
schöpfen für eine lange Zeit. Aber es ist auch eine lange Zeit, die wir hier
gehen. Dabei kommt es auf Treue an, auf Geduld und Ausdauer und gute Hoffnung
in den Anfechtungen. Auf dem Weg durch diese lange Zeit erfahren wir oft genug
das Gegenteil vom ewigen Frieden. Da erfahren wir viel Kleinkrieg, viel Getöse,
Verletzungen und Kränkungen und statt evangelischer Konfession nur Konfusion.
Zwischen dem großen Frieden, der am Sonntagmorgen von der
Kanzel verkündigt wird und dem was im konkreten Alltag als Frieden gelebt
wird liegen Welten und Zeiten. Auch in der Kirche und manchmal gerade in der
Kirche.
Im Reich der Ideen oben im Himmel gehen die Dinge ja wunderbar
auf, aber in der Wirklichkeit der Welt hier unten, da stoßen sie hart
aneinander.
Wir wollen Frieden aber wir lernen Krieg von Kindheit an, das
gehört zur Natur der Welt. Ich will das an einem Beispiel erzählen, das ich bei
Gert Theißen gefunden habe. Das ist die Geschichte von Klein-Jakob. Klein
Jakob ist ein Kind unserer Zeit. Klein-Jakobs Lehre in Sachen Krieg
führen begann als seine kleine Schwester geboren wurde. Da wurde er neidisch
auf das Baby, das durch Säugen, Baden, Wickeln und Wiegen so viel Zuwendung
empfing – während er sich plötzlich mit sehr viel weniger begnügen musste.
Damals entdeckte er eine erfolgreiche Strategie, um dennoch etwas zu erlangen –
nach dem Motto: wenn ich was nicht bekommen kann, dann fange ich zu quengeln
an.
Denn so ist das in der Welt: Wer am längsten nervt, kriegt am
Ende auch was.
Einen weiteren Fortschritt brachte der Kindergarten. Hier kam
Klein- Jakob beim Kampf ums Spielzeug mit Quengeln nicht weiter. Erfolgreicher
war ein direkter Schlag, sicher in Susis Seite platziert. Susi lief schreiend
zur Erzieherin. Und für Klein-Jakob gab es eine Lektion zum Thema, „du darfst
nicht hauen!“
Beim nächsten Streit ums Spielzeug verpasste ihm Susi dafür zur
Revanche einen kräftigen Tritt. Jetzt lief er heulend zur Erzieherin und
beschwerte sich: „Die Susi haut!“ Da wurde er belehrt: „Aber Jakob, warum
wehrst du dich nicht?“ Und so lernte er die Strategie, seine Schläge so zu
dosieren, dass sie unterhalb der Heulschwelle blieben – auf dass die Erzieherin
nicht eingeschaltet wurde. Damit hatte er eine der wichtigsten Grundregeln
sozialer Durchsetzungskompetenz verinnerlicht, nämlich die Regel:
„Was du nicht willst, dass man dir tu,
das füg dosiert dem anderen zu.“
Und noch ein dritter Lernschritt war zu tun, um im Kampf der
Welt bestehen zu können.
Susi lies sich auf Dauer nicht von kleinen Schlägen
beeindrucken. Da begann Klein-Jakob zu verhandeln: „Gib mir das Auto. Du
kriegst auch zwei Gummibärchen dafür“. Und er flüsterte ihr ins Ohr: „Gestern
hat mir Erna das Auto für ein Gummibärchen abgetreten. Aber weil du es bist und
weil wir uns so gut vertragen, kriegst du zwei Gummibärchen. Aber das bleibt
unser Geheimnis“. Das mit Erna war natürlich frei erfunden. Und so lernte er
die dritte Grundregel für den Kampf in der Welt: „Was man mit Bosheit nicht
erreichen kann, das fängt man besser diplomatisch an.“
Wir wurden alle wie Klein-Jakob sozialisiert. Wir haben seine
Lernerfahrungen gemacht. Neben dem offiziellen Lernprogramm der Rücksichtnahme
und der Fairness haben wir das inoffizielle Lernprogramm des Quengeln, der
dosierten Bosheit und der diplomatischen Tricks erlernt. Da sind wir alle vom
Hause Jakob.
Aber da klingt auch in der Bibel noch eine andere
Möglichkeit an:
„Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen
viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu
Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben,
und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns wandeln im Licht des
HERRN!“
Ein Licht vom Ende der Zeit fällt hier schon auf den Weg von
Jakob. Ich bekomme Zuwendung ohne Quengeln, das Spielzeug wird mit geschenkt,
und der andere teilt was er hat gerne mit mir und ich mit ihm: die Gummibärchen
und das Auto, Frieden und Gerechtigkeit.
Das ist das Licht des Herrn. Es zeigt, wo wir hinwollen. Es ist
ein Licht, das hilft in einer ganz anderen Welt zu leben. Dieses Licht ist ein
großes Geschenk. Das muss ich nicht selber machen. Das macht Gott. Dazu schickt
er seine Engel. Zum Beispiel die Oma, die dafür sorgt dass Klein-Jakob seine
Zuwendung kriegt, auch wenn die Mutter sich jetzt erstmal um die kleine
Schwester kümmert. Manchmal ist das auch eine Wahloma, wenn die Leibliche weit
weg ist. So wächst Frieden.
Jesaja sieht: So wird es nicht nur für Jakob sein, so wird es
für alle Völker sein in der letzten Zeit.. So wird es sein, in Gottes Welt.
Dort in der letzten Zeit, da kommt der große Frieden.
Er kommt gewiss, und deswegen muss ich ihn nicht gleich
heute haben und auch nicht gleich morgen. Er kommt schon, auch ohne Quengeln
und andere Tricks.
Diesen Glauben zu verbreiten, ist unsere Aufgabe als Christen.
Wir leben dabei zugleich von der Überzeugung, dass die letzte Zeit schon mal da
war, mitten in der Zeit. In der Gestalt eines Menschen, der das Krieg führen
vergessen hatte, bei dem Schwerter zu Pflugscharen wurden. Wir Christen
glauben, dass dieser am Kreuz gestorbene Mensch die Zukunft ist. Auf seine
Wiederkunft in Vollmacht warten wir, und bis dahin können wir in der gebotenen
Langsamkeit Altardecken sticken, uns schon mal bei manchem Frühstück oder
Abendmahl getrost darauf vorbereiten und geduldig in einer Welt leben, die ganz
anders gestrickt ist.
Die Sehnsucht nach Harmonie und himmlischem Frieden ist
verständlich; gerade unter religiösen Menschen ist sie sehr verbreitet, auch
unter lieben Christenmenschen. Aber wer das alles gleich heute oder morgen
will, der verschärft oft die Konflikte. Er setzt den jeweiligen Konfliktpartner
nämlich dem moralischen Vorwurf aus: Du bist der große Störenfried. Du
verhinderst den himmlischen Frieden.
Da Pfarrer häufig besonders liebe Christenmenschen sein
wollen, geht deshalb von ihnen auch eine besondere Gefahr für den Weltfrieden
aus.
Damals vor 20 bis 30 Jahren, war diese Gefahr bei uns noch ganz
real.
Da ging der Terror nicht von Islamisten und ihren Predigern
aus, sondern von der RAF und das waren zu einem großen Teil
Pfarrerskinder.
Da ist es wahrhaftig gut und nützlich, wenn man eine Kirchenvorsteherin
und Sekretärin hat, die das nicht nur als Schicksal hinnimmt, was das
Sprichwort sagt: Pfarrers Kinder, Müllers Vieh gedeihen selten oder nie.
Da ist es gut, wenn sich eine Wahloma findet, die dafür sorgt,
dass aus den Pfarrerskinder doch was werden kann, und die auch das Vieh
versorgt, wenn der Pfarrer namens Müller im Urlaub ist.
Da ist es gut, wenn auf dem Weg vom deren Wohnhaus zum
Gemeindebüro der halbe Ort liegt, und die Sekretärin auf der Strasse so manches
zu hören bekommt, das sie dem Pfarrer in kritischer Loyalität weitergibt.
Damit bekommt so manche Sonntagsrede ihre Erdung, und in den Konflikten einer
Gemeinde kommt auch der Pfarrer bisweilen zur Erkenntnis: „Ich mit meiner
Ungeduld war der Störenfried“ - und er verordnet sich eine Fortbildung in
Mitarbeiterführung.
Heute sehe ich mit großer Dankbarkeit: Aus Schwertern sind
Pflugscharen geworden. Es war ein karger Boden, damals vor 20,30 Jahren, aber
mit diesen Pflugscharen konnte er bearbeitet werden. So ist viel gewachsen
daraus im Laufe der Zeit. Der Tisch, um den sich die Mitarbeiter von Zeit zu
Zeit versammeln, ist groß geworden und das Gemeindehaus zu klein, für all das,
was entstanden ist. Jungendzentrum und Kindergarten, Jugendarbeiter und
Erzieherinnen, Küsterin, ZDLer und FSJler, Kirchenvorstand und zahlreiche
Ausschüsse.
Wir sind auf dem Weg im Lichte Gottes. Noch haben wir Schwerter
dabei, wie einst Jesu Jünger am Gründonnerstag. Noch sind auch hier
manche Konflikte auszufechten, und das muss auch so sein. Wer hier mitmacht,
der kann davon zeugen, dass die Kirchengemeinde in Wachenbuchen noch nicht der
himmlische Frieden ist. Hier ist noch manches zu klären. Aber wir tun das mit
dem Wissen: Aus den Schwertern lassen sich Pflugscharen schmieden, und zum
Pflügen wird dann wieder jede Kraft gebraucht.
Deswegen müssen wir vorsichtig sein mit dem Schwert, dass wir
niemand erschlagen. Wer, wie Petrus dem Knecht des Hohen Rates das Ohr abhaut,
der sollte auch in der Lage sein, es wieder dran zu heilen. Zum Hören auf Gottes
Wort, auf die Chancen der Zukunft, wird jedes Ohr gebraucht.
Wir wollen niemanden verlieren. Wir wollen heute hier die
versammeln, die in zwanzig Jahren dabei waren und morgen noch manchen
dazu gewinnen. Bis in der letzten Zeit alle Völker gewonnen sind.
Dass auch jetzt schon, von Zeit zu Zeit und von Fall zu
Fall, hier in Wachenbuchen viel Volk sagt: Auf! Vorwärts! lasst uns ins Hause
des Herrn gehen – das empfinde ich als ein besonderes Geschenk Gottes,
oder auch eine Doro- Thea. Zu Deutsch eine Gabe der Göttin.