Weihnachtspredigt 2013 Christvesper 2013; 1. Timotheus 3, 16
Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis der Religion.
Er ist offenbart in Fleisch
gerechtfertigt im Geist,
erschienen den Engeln,
verkündigt den Völkern
geglaubt in der Welt,
aufgenommen in die Herrlichkeit.
Liebe Festgemeinde,
eine Frage zu Beginn: Wieviel Frauen genehmigen sie ihrem Pfarrer? Oder auch: Muss ein Bischof mit Geld umgehen können? Und wieviel Alkohol darf er oder sie trinken? Soll auch jemand der zu Gewalttätigkeiten neigt Pfarrer werden? Und wie ist das bei den Erziehrinnen, müssen die auch selber wohl erzogene Kinder haben?
Es sind solche und ähnliche Fragen, mit denen sich der Timotheusbrief beschäftigt. Er tut das in einer Zeit, in der die Kirche einen sichtbaren Autoritätsverlust erlitten hat. Die Autoritäten, die Apostel, sind gestorben. Und jetzt fragt sich die nächste Generation: Was würde Jesus sagen, was würde Paulus schreiben? Der 1. Timotheusbrief verdankt sich dem, dass da einer schreibt, was er denkt, dass Paulus schreiben würde. Was würde er schreiben zum Lebenswandel mancher Pfarrer oder auch des einen oder anderen Bischofs. Damals war das noch ziemlich dasselbe: nämlich der Leiter einer Gemeinde.
Es geht im 1. Timotheusbrief um Ethik für Führungspersonen. Am Ausgang des erstens Jahrhunderts empfiehlt man dem Bischof: nur eine Frau. Und der Bischof soll kein Säufer sein, nicht geldgierig und kein Verschwender, auch kein gewalttätiger Schläger.
Ähnliches gilt für Diakone und Erzieherinnen. An deren eigenen Kinder soll man auch sehen, dass sie in der Lage sind Kinder zu erziehen.
Vieles von der Ethik des Timotheusbriefes stimmt auch heute noch, anderes ist schlichtweg antiquiert, dem zeitgeschichtlichen Kontext der Antike geschuldet. Etwa: "Eine Frau lerne in der Stille mit aller Unterordnung. Einer Frau gestatte ich nicht, das sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still. Sie soll Kinder gebären, dann wird sie selig." Wenn ich das heute so sagen würde hätte ich vielleicht das stille Wohlwollen mancher Männer, aber es gäbe auch ziemlichen Ärger mit Frau und Tochter und bestimmt auch mit der einen oder andernen von Ihnen hier, meine Damen. Der Weihnachtsfrieden wäre dahin. Für guten Weihnachtsfrieden reicht es jedenfalls nicht, einfach antike Ethik auf Heute anzuwenden. Aber wir könnnen genau wie der unbekannte Schreiber dieses Briefes fragen: Was würde Jesus heute sagen, was würde Paulus heute schreiben? Damit sind wir beim Geheimnis der Religion als Grundlage aller Ethik. So stehen in der Mitte des Timotheusbriefes ganz alte Glaubenssätze. Der Schreiber des Briefes hat sie wohl selber übernommen und legt sie für seine Zeit aus. Wir können das für die unsere tun - für guten Weihnachtsfrieden heute.
"Groß ist wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis der Religion." Was ist das Geheimnis christlicher Religion? Was machte sie eigentlich so erfolgreich? Warum macht im weltgeschichtlichen Rennen zur Ablösung der antiken Götter der Mann aus Nazareth das Rennen und nicht etwa ein sol invictus, der Kult der unbesiegbaren Sonne?
Warum feiern wir heute in aller Welt die Geburt Jesu Christi und nicht einfach bloß Wintersonnenwende.
Und auch – eine in diesem Jahr aktuelle Frage - warum sagen selbst die Moslems: Uns ist am 11. November ein Sankt Martinsumzug lieber als ein vermeintlich religiös neutrales Laternenfest.
Groß ist das Geheimnis der Religion, aber es läßt sich auch ergründen und verstehen und wird doch je mehr man es versteht umso geheimnisvoller.
Unser Predigtext beschreibt es in 6 knappen Sätzen.
1. Offenbart im Fleisch. „Gott kommt zur Welt“, heißt der übliche Satz dafür. Weil man in der Antike immer etwas Angst hatte vor zur Welt kommenden Göttern verkündet der Weihnachtsengel den Hirten gleich dazu: „Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude. Euch ist heute der Heiland geboren.“ Können sie es glauben, können wir es glauben? Soviel steht fest: Niemand muss das glauben, denn der Glaube ist selbst das erste Weihnachtsgeschenk: Eine Offenbarung.
Was bei einer Offenbarungsreligion passiert - die Monkeys, die Beatgruppe aus den 60er Jahren haben das in einem Evergreen wunderschön und einfach besungen: I'm a believer. Ich bin ein Glaubender: Ich dachte Liebe wäre nur wahr im Märchen, etwas für andere aber nicht für mich. When I saw here face – dann sah ich ihr Gesicht, jetzt bin ich gläubig. Now I’m a believer.
Offenbart im Fleisch. Das Gesicht eines Engels, damit fängt die Liebe bei den Hirten an. Dann machen sie sich auf den Weg, um zu sehen ob diese Offenbarung auch wirklich Hand und Fuß hat, ob die eine Erfahrung auch durch die andere bestätigt wird. Christlicher Glaube verdankt sich einer phantastischen Erfahrung mit Fleisch und Blut. Im Licht der Weihnachtserfahrung ergeben alle anderen Erfahrungen unseres Leben ein guten Sinn. Bei dem armseligen prekären Hirtenleben liegt die Betonung nun nicht mehr auf arm, sondern auf selig. Die erste Erfahrung eines neuen Lebens machen sie im letzten Stall. Wer sie gemacht hat, will auch davon erzählen. Und wer sich dabei nur ungläubig wundert, darf auch ruhig ungläubig bleiben und erst mal alles für ein Märchen halten. Aber wir wünschen ihm, dass es ihn auch mal so richtig erwischt: So senkrecht von oben wie ein Blitz oder auch saft und unscheinbar von unten wie mit Schmetterlingsflügeln, die Begegnung mit einem Engel und der entsprechenden guten Erfahrung in Fleisch und Blut. Christen sind keine Fleischverächter. Der Timotheusbrief bezeichnet ein paar Verse weiter die Asketen und Lustlosen gar als Irrlehrer. Er kann es gar nicht verstehen, warum manche das Heiraten verbieten wollen. Alles wofür du dem lieben Gott danken kannst, das ist in Ordnung, schreibt er. Das ist schon sauber.
Ein alter Kollege erzählt: Da kommt ein junger Mann um zu beichten: Ich habe mit der Tochter des Nachbarn gesündigt. Er hört sich seine Geschichte an und antwortet dann: Das ist keine Sünde, das ist Natur. Offenbart im Fleisch. Liebe nicht nur platonisch, sondern auch eine ganz irdische Lust und Freude.
Eine frisch gebackene Oma erzählt über dem Kind: Das ist etwas so wunderbares und Schönes. Große Freude allem Volk und Dankbarkeit für all die schönen Gaben dieser Welt: Weihnachtsgeschenke.
Und nun all das auch 2. gerechtfertigt im Geist. Christliche Religion ist ohne Geist nicht denkbar: Der Geist der Aufklärung. Das ist ein Begriff aus der Weihnachtsgeschichte des Lukas. Die Klarheit des Herrn leuchtet da mit den Engeln. Die Weisen der Welt stehen an der Krippe. Die klügsten Köpfe, die weitblickendsten finden in Bethlehem was sie suchen - Irrwege der Intelligenz inbegriffen. Ihre Lernfähigkeit beweisen sie auch dadurch, dass sie sich ihren grausamen Irrtum mit Herodes eingestehen und ihre Wege korrigieren. Sie knie betend an der Krippe. Solche Frömmigkeit ist keine Bedingung für gute Wissenschaft, aber häufig ihre Folge.
Ich bin Naturwissenschaftler, sagt mir ein Mann, ich kann mir die Welt auch ohne Gott erklären. Schön, wunderbar sage ich, der liebe Gott ist nicht beleidigt, wenn sie ihn nicht brauchen. Sie müssen nicht an ihn glauben. Was bei dem Hufeisen über der Tür oder den vierblättrigen Kleeblättern nur ein Gerücht ist –das gilt von Gott ganz bestimmt. Er hilft, auch wenn man nicht dran glaubt.
Aber sagen sie mal, frage ich dem Hirnforscher, sie lieben doch ihre Frau, wie erklären sie sich das eigentlich. Warum diese, warum nicht irgendeine andere, ja warum überhaupt? Was ist da los mit ihren neuronalen Verknüpfungen im hinteren rechten Gehirnlappen? Und er antwortet: „Ja, das kann ich mir auch nicht so genau erklären.“ „Na, dann forschen sie ruhig weiter.“ Gerechtfertigt im Geist.
Die Kirche als Raum der Freiheit für gute, kritische und kreative Geister - das hat uns in der Spätantike groß gemacht, zum Bau herrlicher mittelalterlicher Kathetralen geführt, zur Gründung von Volkschulen durch die Reformation bis hin zum Einsturz der Berliner Mauer und christlich geprägen Führungspersönlichkeiten in unserem Land heute. Für unsere Kirche wünsche ich es mir: Es mögen doch bitte wieder die besten Geistern sein, die Leitungsämter anstreben.
3. Erschienen den Engel – da können wir an die Weiten des Universums denken, die ganze himmlische Welt. Der Blick zum Sternenhimmel. Sinn und Geschmack fürs Unendlche. Es ist die große Vermutung des christlichen Glaubens, dass wir auch da draußen das finden, was in der Weihnachtsgeschichte zur Welt kommt. Doch warten wir ab, was Gaia, die in diesen Tagen gestartete neue Weltraumsonde der Esa, mit der leistungsfähigsten Digitalkamera aller Zeiten in den Weiten der Milchstraße entdeckt.
In der Zwischenzeit können wir hier auf Erden weitermachen mit 4., der Verkündigung an die Heiden. „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren.“ So wie Lukas das genial in seiner Weihnachtsgeschichte verdichtet, können wir es aller Welt predigen, erklären, singen und sagen und auch zur Erforschung frei geben: Du bist zur Freude geschaffen, zur großen Freude! Die Hirten sagen es schon mal allen in Bethlehem weiter. Zunächst ist es mehr Glossolalie, Zungengelalle, als verständliche Rede, so wie heute in vielen Pfingstkirchen der Armen. Aber auch wenn nicht alles verständlich ist: Entscheidend ist, dass die Sprachlosen ihre Sprache wiedergefunden haben, dass diese einfachen Leute jetzt auch mal was zu sagen haben. Nicht nur die Weisen und Gebildeten, auch das einfache Volk kann hier mitreden. Sie haben es zuerst entdeckt, das große Geheimnis dieser Nacht.
Wenn Sie jetzt zu denen gehören, denen es die Sprache verschlagen hat über manchen, was sie erlebt haben: Heute Nacht sagt dir der Engel "Fürchte dich nicht!" und dann reden sie einfach mal drauf los. Es darf gesagt werden, was auf der Seele lastet, und auch mal dahin gelallt, wo man das neue Heil schon entdeckt hat. Die Hoffnungslosigkeit ist zu Ende, das Rettende wächst heran - sagt das doch allen weiter!
Die Botschaft wird gehört. Zur Geburt des Christkindes sind die Kirchen in den letzten Jahren immer noch ein bisschen voller geworden. Mehr geht kaum noch hinein. Mancherorts hat man sich deswegen schon umgeschaut, ob nicht irgendwo ein Bauer einen großen Stall oder eine Scheune hat für den Weihnachtsgottesdienst. Das hat auch den Vorteil, dass Ochs und Esel schon da sind und sie etwas von der Heiligen Nacht auch riechen können.. Die Botschaft geht weit über die Kirchen hinaus. Ich denke auch an die vielen Krippenspiele in den Schulen. „Ach, im Religionsunterricht allein könnten wir das gar nicht mehr schaffen,“ erzählt eine Religionslehrerin, „aber die Klassenlehrerin hat ihre Stunden mit eingebracht, und die Kinder spielen die Geschichte mit großer Freude.“ Der Charme der Weihnachtsgeschichte strahl über die Kirchen hinaus. Verkündigt den Heiden.
5. Geglaubt in der Welt. Diese Welt ist auf Glauben und Vertrauen gebaut - das ist die Grundannahme christlicher Religion. Wie sehr sie stimmt, merken wir häufig erst wenn das Vertrauen nicht mehr selbstverständlich ist. Es muss nicht immer gleich die NSA sein, die heimlich Handys abhört, manchmal ist schon das kleine Nachspionieren in der Familie Zeichen einer Vertrauenskrise.
Im vorigen Jahrzehnt haben wir erlebt. Wenn die Banken sich nicht mehr untereinander vertrauen, sich keinen Kredit mehr geben, dann zitternd die Märkte. Eine Gesellschaft ohne Grundvertrauen zerfällt in sich bekämpfende Gruppen. Wir können in diesem Jahr dankbar sein für ungewöhliche Regierungskoalitionen, bezeugen sie doch. Das Grundvertrauen ist größer als die kontären Politikvorstellungen.
Nationale und internationale Politik sind in hohen Maße darauf angewiesen, dass ihre Akteure Vertrauen zueinander aufbauen können. Aber genau dieses Vertrauen ist nicht machbar, nicht herstellbar. Es lässt sich aber darum bitten und beten und Danke sagen, dort wo es uns geschenkt wird. Dieses Gebet zu pflegen ist unsere Aufgabe als Kirche.
Glauben können, manchmal auch - wieder glauben können, wieder vertrauen können - das ist vielleicht das schönste Weihnachtsgeschenk: Anfangs noch wie ein kleines Kind, verletzlich und missbrauchbar, auf Pflege angewiesen, noch in Windeln gewickelt - doch es lässt sich entwickeln.
Ich bin sehr dankbar, dass sie heute in großer Zahl und großer Unterschiedlichkeit hier sind. Sie stehen damit dafür ein, dass es in dieser Welt auch weiterhin Glauben gibt, und Hoffnung und Liebe. Dass die himmlische Weihnachtsgeschichte immer wieder neu erzählt wird, in ihren Familien zuhause, in den Nachbarschaften, in unseren Vereinen.... Vertrauensbrüche können überbrückt werden, Wunden an der Seele heilen, das schon verloren geglaubte wird gerettet und neues Vertrauen kann heranwachsen wie das Kind von Bethlehem. Seien Sie dafür gute Hirten..
6. Aufgenommen in die Herrlichkeit
Groß ist, das Geheimnis der Religion. Mit Jesus endtdecken wir: Es ist in allen. Jeder Mensch ist darauf ansprechbar: In dir steckt das Wunder des Lebens. Das große Geheimnis des Daseins. Dieses hier ist eine wunderbare Welt. Es ist gut auf ihr zu leben. Wir Christen wollen, dass alle diese Erfahrung machen können. Große Freude allem Volk, auch den Heiden, Atheisten, Ungläubigen, Andersgläubigen - auch sie sollen die Herrlichkeit Gottes erfahren, aufgenommen werden in die Herrlichkeit.
Was kann ich dazu tun, um sie zu gewinnen, wie soll ich mich dafür verhalten? Die Fragen konkreter Ethik werden strittig bleiben und zeitbedingt. Als evangelischer Pfarrer habe ich die Eingangsfrage dieser Predigt - wieviele Frauen? - für mich schon mal so beantwortet: Nur soviele Frauen, dass mir die Gemeinde noch vertraut. Bisher ist das eine. Aber das ist ja auch schon eine mehr als bei meinem römisch-katholischen Kollegen.