ER ist ein Mädchen
Irgendwann musste es ja so kommen. Beim Krippenspiel unseres Kindergartens habe ich wie immer einen prächtigen Jungen in die Krippe gelegt. Da er noch nicht in Windeln gewickelt war, war das auch eindeutig erkennbar. Aber dann hat Mia, die die Maria spielte, von zu Hause ihre Lieblingspuppe mitgebracht und irgendwie die Puppen ausgetauscht. Jedenfalls: es kam die Szenen mit der Geburt. Maria nahm das Kind aus der Krippe, und das Kind - auch das war nun eindeutig erkennbar - hatte ein rosa Höschen an und ein rosa Stirnband. „Er ist ein Mädchen“, zischelte jemand, und in die sowieso schon große weihnachtliche Freude mischte sich ein heiteres Schmunzeln. Es ist ein Mädchen. An der Stelle, wo der Engel dann den Hirten sagt "euch ist ein Kind geboren, der Heiland" ergänzte noch eine andere: Die Heiländerin.
Nun also auch noch das: Nachdem wir also schon seit geraumer Zeit Pfarrerinnen und gar Bischöfinnen haben, nun also auch der Höchste selbst ein Mädchen.
Da tauchen schon diffuse Ängste auf. Erobern die Frauen jetzt die letzten Männerdomänen? Den alten hochehrwürdigen Dorfschullehrer gibt es ja schon lange nicht mehr. Das sind jetzt alles Grundschullehrerinnen. Die Mädchen machen inzwischen auch die besseren Schulabschlüsse. Der Pfarrer wird zunehmend ersetzt durch die Pfarrerin. In den Kirchenvorständen sind die Frauen schon in der Mehrheit. Der Bundeskanzler ist eine Kanzlerin. Jetzt wollen sie mit einer Frauenquote auch noch die letzten Vorstandsetagen in der Wirtschaft erobern. Ich fürchte selbst der Papst ist da nicht mehr lange sicher, wenn schon in der Krippe ein Mädchen liegt.
Eine genaue Beobachtung der religiösen Situation in Europa und vielen anderen Ländern der westlichen Welt verdichtet den Eindruck. Der Glaube an Gott, den allmächtigen Vater ist im Schwinden, dafür glauben immer mehr an die Liebe als der Mutter aller Dinge. Selbst Atheisten und Nichtreligiöse wollen doch auf die Liebe nicht verzichten. Hat sich bei Gott also nur einfach das Geschlecht verwandelt. Von Herrgott zur Himmelsmacht der Liebe?
Was wird dabei dann eigentlich aus uns Männern?
Auch wir als Männer können uns das sagen lassen vom Weihnachtsengel : Fürchtet euch nicht! Lasst euch aufklären über dieses geheimnisvolle Wesen – die Frau. Selbst wenn jetzt ein Mädchen in der Krippe liegen sollte: es ist nicht zum Fürchten, es ist zur großen Freude für alles Volk. Keine Angst, auch wenn es nicht mehr in Windeln gewickelt ist, sondern sich mittlerweile entwickelt hat.
Es wird wohl manche eingefahrene Denkgewohnheiten kräftig durcheinander wirbeln. Aber damit kommt ja auch etwas Neues, erfrischend Neues, in die Welt. Und die große Freude ist dann bei allem Volk, Männer und Frauen, Migranten und Eingeborene, Hirten und Königen: Euch ist heute der Heiland geboren, der Christus, der die Welt zusammenbringt.
Inzwischen erleben wir den Geist dieses Kindes auch im übertragenen Sinne als eine Antwort auf die neuen Rollen von Mann und Frau. Wir finden immer mehr Kinder in einer Krippe, und dennoch reichen die Krippenplätze in unserem Land noch immer nicht. Manchmal begegnen wir auch noch den Ängsten. Für manche Ältere war das noch unvorstellbar, das Kind mit einem Jahr wegzugeben in eine Krippe. Inzwischen ist es der Normalfall, und wenn es gut gemacht ist, tut es allen Seiten gut. Fürchtet euch nicht! Ihr werdet finden ein Kind in Windeln gewickelt. Mit eurer Hilfe kann es sich entwickeln. Auch dem Josef und anderen Männer, die noch zögerlich und ängstlich sind Verantwortung für eine Familie zu übernehmen, denen sagt es der Weihnachtsengel: Fürchte dich nicht. In dem was da geschieht wirkt Gottes Geist. Vertraue auf die Macht der Liebe.
„Hier liegen ja zwei Kinder in der Krippe“ entdeckte unser Josef bei der Hauptprobe zu unserem zweiten Krippenspiel. In der Tat, da lagen plötzlich Zweie: ein Junge und ein Mädchen. Eine Mitspielerin, die die Kunst versöhnlicher Kompromisse beherrscht, ergänzte: Es waren Zwillinge, aber die Geschichte des Mädchens muss noch erzählt werden.