Kirchweih mit Hellau und Ave Maria
Veröffentlicht von Helmut G. Müller in Pfarrer in Wachenbuchen · 15 August 2011
Mariä Himmelfahrt
Kerb - 15. August
„So soll es sein, so kann es bleiben. So hab' ich es mir
gewünscht. Alles passt perfekt zusammen, weil endlich alles stimmt.“ Eine
wunderschöne Trauung am Samstag im Nachbarort. Der Kollege hat mir zwar noch
einen Zettel zugesteckt, dass in Mittelbuchen keine Brautübergabe in der Kirche
erfolgen darf, aber es wurde ja auch der Bräutigam übergeben. Die Sängerin
singt dazu das Lied von Ich und Ich. Ein
Hauch vom Paradies liegt über dem Tag. Als ich abends nach Hause komme, klingt
von ferne und doch irgendwie ganz nah ein altes Liebeslied der Candles von der
Wachenbücher Kerb herüber.
Der nächste Morgen hat dagegen auch etwas Diabolisches.
Nicht wirklich böse, nichts Dämonisches,
aber im wörtlichsten Sinne von Diabolos – der Durcheinanderwerfer. „Soll
der Hintergrund beim Kerbgottesdienst schwarz oder weiß sein“ hat die KEWA am Tag zuvor gefragt. „Was sieht
denn besser aus?“ So wird es an diesem
Morgen eine Mischung aus beiden. Das verspricht Spannung.
„Wo und wann singen wir?“ fragt der Gesangverein Vorwärts
vor dem Gottesdienst. „Am Ende oben auf
der Bühne, wie jedes Jahr“, antworte
ich. Es kommen ein paar Männer vom Männerchor und erklären: „Unser Dirigent
kommt später – aber wir singen ja sowieso immer erst am Ende“. Ich bin zwar der festen Überzeugung, dass sie
in den Jahren zuvor immer am Anfang gesungen haben, aber wenn der Dirigent um 10.00 Uhr noch mit
einem anderen Chor am anderen Ort singt,
dann stellen wir halt das Programm um: „Dies
ist der Tag des Herrn“ also erst ab 11.00 Uhr.
Mittlerweile hat das Blasorchester die Bühne besetzt und die
Bläser sind heute Morgen so zahlreich, dass oben alles voll ist. „Könnt ihr auch unten singen und ein
Lied zu Beginn“ frage ich den gemischten Chor „Vorwärts 1903“. Ein Lied zu
Beginn ist in Ordnung, das zweite geht halt nicht, weil es das Lied zum Segen
ist und der kommt halt nun mal zum Schluss. „Unten singen geht nicht, denn
sonst fehlt das Klangvolumen“, sagen die Sängerinnen. Oben sitzt aber doch das
Blasorchester. „Dann stellen wir uns halt davor“. „good new’s chariots coming“
proben die Kirchenmäuse noch im Separee.
Zwischendrin kommt der Propst Ich hab‘ vergessen, dass unser
Vertretungsküsterin ja noch mit dem Kirchenchor probt. Irgendjemand anderes
muss also die Liedblätter austeilen. Zahlreich erscheint nun auch die Gemeinde.
Wo gibt es noch Liedblätter, fragt jemand. Die sind gerade alle, also bitte zusammenrücken und
teilen.
Noch schnell zwei Stühle auf die Bühne – für mich und den
Propst – hinter dem großen Blumenkübel, sonst ist kein Platz mehr da. Den Herrn Jesus habe ich dabei glatt
vergessen – und das Prinzip immer noch einen zusätzlichen Stuhl hinzustellen,
damit er sich setzen kann, falls er kommt (macht er ja manchmal)
Mit leichter Verspätung ziehen wir empor und am Altar
vorbei. Der Propst setzt sich hinter den wunderschönen Blumenkübel und auf meinen Platz sitzt schon ein verspäteter Bläser. Dafür ist mittendrinn im
Orchester noch ein Platz frei. Aber wenn ich mich dahin quetsche, dann – so
befürchte ich – wird es erst recht diabolisch und ich werfe Noten und Instrumente
durcheinander.
Soll ich das alles hier also komplett durchstehen? „Großer
Gott, wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke“. Ich entscheide mich
während des Eingangsliedes einen Stuhl zu holen. „Heilig Herr Gott
Zebaoth…“ - ich trage ihn, als wär’s ein
Teil der Liturgie, vor mir her und
verschwinde hinter den Blumen. Dann wieder durch die Blumen hinaus zum
Psalm. Veränderter Ablauf, der Vorwärts kommt hoch zum Lobpreis und wieder ab.
Ach—wer begleitet jetzt eigentlich das Kyrie eleison? Egal – ich brauche jetzt
ein „Herr erbarme dich“ und singe aus vollen Herzen. „Das Blasorchester hatte
schon angesetzt“, flüstert mir der
Propst zu. Sie haben es aber wieder abgeblasen. Ich blicke zu dem freien Stuhl in
der Mitte. Sitzt da nicht irgendwer? Ein freundliches Lächeln begegnet mir.
„Somebody’s knocking at your door“ – singen mittlerweile die Kirchenmmäuse, „looks like Jesus“. Ich
weiß nicht ob das stimmt. Er sieht jedenfalls
heute sehr weiblich aus. Die
Einführung der neuen Erzieherinnen unserer KiTa. Ein paar lobende Worte für
unsere hochengagierten bisherigen
Mitarbeiterinnen. Darunter auch meine Ehefrau. Von „die alte Liebe“
kommt allerdingst nur „die Alte“ rüber,
was mir später noch eine Woche Höllenqualen verschafft.
„Komm Herr segne uns, dass wir uns nicht trennen“, singt der
gemischte Chor zum Schluss des Kerbgottesdienstes am Sonntagmorgen. Der Propst
spricht den Segen. Das zweite Lied vom Männerchor fehlt noch. Ich bin gespannt,
was sie singen werden. Die vereinigten Männer von Wachenbuchen und Mittelbuchen
stellen sich auf. Dann stimmen sie das Lied an, bei dem der selige Pfarrer
Sauer einst den Chor verlassen hat, weil er so was Erzkatholisches nicht singt
und schon gar nicht im evangelischen Gottesdienst: „Ora pro nobis maria, salve
regina caelum“ - bete für uns Maria, Himmelskönigin.
Ich spüre den Propst
neben mir, ich entdecke seinen Vorgänger, den alten Propst unter den Besuchern.
Ich verstecke mich hinter den Blumen und möchte im Bühnenboden versinken. Doch dann entdecke ich sie und sie lacht mir
zu. Dieses diabolische Lächeln der Maria Magdalena. Wo sie erscheint, dort
bringt sie alles durcheinander, verwirrt den Männern den Kopf, aber du kannst
ihr nicht wirklich böse sein. So wie sie selbst ja auch nur wirklich böse und zornig
wird, wenn ein angehender
Ministerpräsident seine Liebe verleugnet, bloß weil sie ein bisschen
jung ist und vermeintlich seiner
Karriere im Weg steht. Doch das werde
ich erst aus der Tagesschau erfahren.
Jetzt aber ist sie mitten im Festzelt real präsent. An der Theke holt sie ein
Körbchen Bier zur Kommunion mit dem Männerchor. Erinnerungen werden bei mir
wach – an ihren erotischen Tanz in der Kirche ausgerechnet am Karfreitag.
Einige hätten sie dafür am liebsten gekreuzigt, andere sprachen voller
Anerkennung von dem roten Engel: „Jetzt
wird Kirche wieder spannend.“ Als Konfirmandin habe ich sie beim Rauchen
erwischt. Als rebellische Jugendliche
stand sie mitten in einer
Diskussion über Sexualität auf und stimmte mit ihrer wunderbaren Alt-Stimme
den Zarah Leander Klassiker an: „Kann denn Liebe Sünde sein, und wenn
sie’s wär, so wär’s mir auch egal …“ Eine Abtreibung („das Kind soll nicht aus
irgendeinem Zwang zur Welt kommen,, sondern weil ich es will“), und jetzt ein
Kind und keinen Vater dazu („es wird sich schon ein Josef finden und außerdem
hat es einen himmlischen Vater“). Ein Wesen aus Liebe und Passion.
„Ich muss los zur Einweihung der Krippe“, winke ich ihr zu.
„Prima“, sagt sie, „ich komm demnächst dann auch mal vorbei“. Wunderbar, Magdalenas Kind in unserer Krippe, das könnte glatt ne
evangelische Weihnachtsgeschichte werden.
„Es war ein schöner Gottesdienst und der Propst hat gut
gesprochen“, flüstert eine alte Dame, als ich aus dem Zelt gehe.
Am Nachmittag ertappe ich mich selbst bei einem „ora pro
nobis maria“ als es um 14.00 Uhr in
Strömen regnet und wir die Kirche nicht flott kriegen. Doch dann öffnet sich
der Himmel und wir öffnen die Zeltplane über dem Wagen. Ein Regenbogen zieht
übers Land, die Sonne kommt durch und der alte Deutz bobbert mit dem Kirchlein
hintendran zum Festzug. Wir schrauben
die Mauer noch einmal ab, und Annemarie, unsere „Himmelskönigin“, steigt auf
die Leiter hinauf zu ihrer Kirche. Sie ist nicht mehr ganz so jung an Jahren
(wir feiern schließlich 550 Jahre Kirchturm) und muss doch die Konkurrenz
mit Lichterkönigin, Kürbiskönigin
und Zuckermaiskönigin nicht scheuen.
Nur manche der
zahlreichen Zuschauer am Wegrand müssen noch lernen, dass der korrekte Ruf zu ihr nicht „Hellau“
heißt sondern „Ave Maria“. Doch
für solch christliche Lehre gibt es schließlich den Pfarrer. Der nimmt sein Amt
auch wahr, lehrt und segnet.
Am Montag, dem 15. August ist dann das kirchliche
Hochfest Mariä Himmelfahrt, ein Feiertag
in katholischen Gegenden. Zugleich ist es in diesem Jahr der Höhepunkt der
Wachenbücher Kerb. Wenn man bei Mariä Himmelfahrt an die große Sünderin Maria
Magdalena denkt, dann kann es auch ein
gut evangelisches Fest sein. Vielleicht
sind ja beide sogar die gleiche Person, Maria Magdalena, Hure und Sünderin und
Maria, die Mutter Jesu, die heilige Jungfrau. Es ist schließlich nicht das
moralische Werk der Bewahrung ihrer Unschuld, das sie heilig macht, sondern
der Glaube an die Vergebung der
Schuld. Damit könnte selbst eine in die
Jahre gekommen Kirche, in der so manches schiefläuft, wieder ganz jungfräulich
beginnen, mit heiliger Begeisterung und einem Fest an dem Himmelfahrt und
Pfingsten zusammenfallen.
Zu Pfingsten kommt der Himmel bekanntlich herab zur Erde.
Gleiches geschah hier auch. Mit „Helium 6“ wurde es dann am Abend Zweien gar
so leicht, dass sie hinauffuhren in jenen Himmel, wo nichts als Liebe ist. Aber
das ist eine andere Geschichte und die wird erst zur Hochzeit erzählt.
Dass man auch im Himmel
am 15. August wohl eine fulminante Party gefeiert hat, mit Musik und riesiger Lightshow, kam n dieser
Woche allerdings als eher verwirrende
Nachricht bei mir an. Unser alter
Schulfreund Dixie – zuständig für Disco, Lichteffekt und große Events -, er ist an dem Abend verstorben (siehe oben: 15.
April - good bye Jonny). Ich war zur Beerdigung, der Kollege hat diesmal
seine Arbeit auch gut, einfühlsam und
berührend gemacht und doch hadere ich: „ Heilige Magdalena, musste das jetzt wirklich sein?“ Sie antwortet per Email: in Gestalt eines
Taufspruchs für den nächsten Sonntag: 1. Korinther 13, 8: Die Liebe hört
niemals auf.
So ähnlich hat das
Donna Klara auch am Kerbmontag gesungen: „Es geht alles vorüber, es geht alles
vorbei – aber die Liebe hört niemals auf.“
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